Zusammen!
Manifestation für ein menschenwürdiges Hamburg:
Wir dokumentieren hier einige Reden, die am 18. Februar 2011 auf der Manifestation gehalten wurden.
- Elias Gläsner: Krankheit, Gesundheit oder: Der Mensch – ein Uhrwerk?
- Günther Kahl: Solidarisches Hamburg
Krankheit, Gesundheit oder: Der Mensch – ein Uhrwerk?
Es kam ein Mann in’s Krankenhaus
und erklärte, ihm sei nicht wohl.
Da schnitten sie ihm den Blinddarm heraus
und wuschen den Mann mit Karbol.
Befragt, ob ihm besser sei, rief er: „Nein.“
Sie machten ihm aber Mut
und amputierten sein linkes Bein
und sagten: „Nun geht’s Ihnen gut.“
Der arme Mann hingegen litt
und füllte das Haus mit Geschrei.
Da machten sie ihm den Kaiserschnitt,
um nachzusehn, was denn sei.
Sie waren Meister in ihrem Fach
und schnitten sogar ein Gesicht.
Er schwieg. Er war zum Schreien zu schwach.
Doch sterben tat er noch nicht.
Sein Blut wurde freilich langsam knapp.
Auch litt er an Atemnot.
Sie sägten ihm noch drei Rippen ab.
Dann endlich war er tot.
Der Chefarzt sah die Leiche an.
Da fragte ein andrer, ein junger:
“Was fehlte denn dem armen Mann?“
Der Chefarzt schluchzte und murmelte dann:
“Ich glaube, er hatte nur Hunger.“
„Hunger ist heilbar“ (E. Kästner)
Eine Medizin, die den Menschen als eine Ansammlung verschiedenster Organe begreift, welche im besten Falle noch in einem Gesamtorganismus „Mensch“ wie die Zahnräder in einem Uhrwerk ineinandergreifen, kann keine Gesundheit schaffen.
Der Mensch ist ein gesellschaftliches Wesen, das im lebendigen Austausch mit seiner Umwelt steht, durch sie gebildet wird und sie gestaltet. Insofern sind Krankheit und ihre Ursachen als das Produkt unmenschlicher Umstände zu verstehen und Gesundheit als der aktive Prozess, menschliche Bedingungen herzustellen.
Konkret: Ein Mensch, der durch erheblichen Leistungsdruck am Arbeitsplatz und die Gefahr entlassen zu werden unter enormer psychischer Belastung steht, eine Zigarette nach der anderen raucht und dann einen Herzinfarkt bekommt – der wird nicht gesund werden, indem man ihn am Herzen operiert, ihn sich das Rauchen abgewöhnen lässt und nach ein wenig Kur wieder nach Hause und in die selben zermürbenden Arbeitsverhältnisse zurückschickt...
Die Weltgesundheitsorganisation sagt, Gesundheit sei „ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen.“
Medizin ist also vor allem Vorsorge und die aktive Befähigung Aller zur bewussten, vernünftigen, menschenwürdigen Gestaltung der Lebensverhältnisse.
Warum aber basteln stattdessen die meisten Gesundheitseinrichtungen wie besessen an der Wiederherstellung des Uhrwerks „Mensch“ (und verdienen sich so auch tatsächlich den Titel „Kranken-Haus“)?
Eine menschenwürdige Praxis braucht menschenwürdige Bedingungen.
Gesundheit wird – bar jeder Vernunft – wie beim Pfandleiher vorm Kasino als Ware verwertbar und mit ihr Profit gemacht. Gesundheit jedoch ist keine Ware, sondern ein Menschenrecht! In Gesundheitseinrichtungen haben Kosten-Nutzen-Rechnungen nichts zu suchen. Pflegepersonal und Ärzte sind keine Dienstleister, Patienten keine Kunden. Die Gesundung ist ein gemeinsamer Entwicklungsprozess, der ein tiefes Verständnis und von beiden Seiten die Bereitschaft und Möglichkeit des Lernens voneinander voraussetzt. Dafür braucht es Zeit. Ein nach Effizienz-Kriterien geführtes öffentliches, oder gar privatisierte Krankenhäuser schädigen die Gesundheit aller, nicht zuletzt die der dort Tätigen. Genügend Personal, das ausreichend Zeit für die Behandlung von Patienten und die kooperative Ausbildung von Lernenden hat, stellt keine finanzielle Belastung sondern eine notwendige Voraussetzung für Gesundheit dar.
Medizinische Forschung muss unabhängig von privatwirtschaftlicher Einflussnahme alle (auch strukturell gesellschaftliche) Ursachen für gesundheitliche Einschränkung analysieren und Wege zu deren Beseitigung aufzeigen. Dazu ist vor allem die Vorsorge- und Gesundheitsforschung massiv auszubauen.
Die private Pharma- und Gerätehersteller-Industrie haben ein in sich begründetes Interesse, Gesundheitsförderung explizit zu verhindern. Ihre Produkte lassen sich nur verkaufen, wenn Menschen tatsächlich erKRANKen. Dieser Konflikt lässt sich nur aufheben, wenn Herstellung, Entwicklung und Verbreitung von Medikamenten und medizinischer Technik Betriebe in öffentlicher Hand übernehmen.
Die Ausbildung im Gesundheitsbereich muss einen kritischen Gesellschaftsbezug realisieren. Gesundheit und Krankheit sind als gesellschaftlich bedingte Prozesse zu reflektieren und der Mensch als ein historisches, durch seine Umwelt bestimmtes und sie selbst aktiv bestimmendes Subjekt verstehbar zu machen.
Die Verfügung über die eigenen Lebensverhältnisse und die freie Entfaltung der Persönlichkeit durch Bildung, Arbeit und Kultur sind unabdingbar für wirklich gesunde Menschen. Deswegen ist auch Medizin verpflichtet, überall auf die Überwindung von Herrschaftsverhältnissen, Ungleichheit und Ausbeutung zu wirken.
Gleichzeitig ist Gesundheit eine grundlegende Notwendigkeit für die menschliche Aneignung von Welt durch Bildung, Arbeit und Kultur, und somit für eine demokratische, friedliche Gesellschaft. Alle nötigen gesundheitsfördernden Maßnahmen müssen daher kostenfrei zugänglich sein, d.h. solidarisch finanziert werden.
Dies ist längst keine Frage der Möglichkeit mehr, sondern eine des Willens und der Entschlossenheit, menschlich Vernünftiges selbst zu erkämpfen.
„Die Möglichkeit ist nicht die Wirklichkeit, doch auch sie ist eine Wirklichkeit: dass der Mensch eine Sache tun oder lassen kann, hat seine Bedeutung um zu bewerten, was wirklich getan wird. [...] Dass es objektive Möglichkeiten gibt, nicht Hungers zu sterben, und dass dabei Hungers gestorben wird, hat anscheinend seine Bedeutung.“
aus den „Gefängnisheften“ (A. Gramsci)
Elias Gläsner, Fachschaft Medizin
Solidarisches Hamburg
Liebe Hamburgerinnen und MigrantInnen in unserer Stadt,
wir sehen mit grosser Anerkennung, dass sich Menschen in bisherigen Diktaturen erheben und endlich ihr Leben selbst bestimmen wollen. Sie fordern Freiheit und ein Ende der bisherigen Herrschaftsstruktur ihrer Länder.
Natürlich unterscheidet sich die Situation in unserem Lande erheblich von den Verhältnissen der Länder. Wir haben eine Verfassung, die die Rechte der Bevölkerung garantiert. Die Entscheidungen zu allen Lebensfragen werden durch die gewählten Parlamente, die Bundesregierung und die Regierungen der Bundesländer getroffen. Diese sollen für 4 oder 5 Jahre die Interessen der Bevölkerung vertreten. Sie sollen den Bürgerwillen repräsentieren.
Durch Jahrzehnte blieb diese Entscheidungsmöglichkeit über die Lebensfragen der Bevölkerung ausschliesslich diesen Gremien vorbehalten. Die Bürger hatten keine direkte Möglichkeit auf die Entscheidungen einwirken zu können.
Das scheint sich in unserem Lande und in unserer Stadt Hamburg gründlich zu ändern. Die Bevölkerung ist nicht mehr bereit, für jeweils 4 oder 5 Jahre auf eine Mitsprache zu verzichten.
Es reicht aber nicht, die eigene Meinung nur bei sich im Wohnzimmer zu vertreten und in der Öffentlichkeit zu schweigen.
Stuttgart 21 war ein Beispiel der Willensbildung und der Willensäusserung vieler Menschen, die nicht mehr bereit waren, ungefragt und unbeteiligt Beschlüsse politischer Gremien zu akzeptieren. Verantwortliche der Parteien und Regierungen müssen akzeptieren, dass man immer weniger allein entscheiden kann, ohne die kritische Bevölkerung einzubeziehen.
Volksbegehren werden zunehmen, wenn die Belange der Bürger berührt werden, und die Regierenden müssen diese berücksichtigen.
In Hamburg wurden Krankenhäuser verkauft, entgegen dem Mehrheitwillen der Bevölkerung. Die HEW liess man durch das Grossunternehmen Vattenfall übernehmen, die HWW (Wasserwerke) sollten auch verkauft werden. Dies wurde durch Bürgerwillen verhindert.
Die Hamburger Landesregierung bürdet den Hamburger Steuerzahlern Prestigeobjekte auf, deren Kosten um einige 100 % weglaufen. Wir benötigen keine Prestigeobjekte, durch die vermeintlich der Weltstadtcharakter Hamburgs deutlich würde. Ein fatales Beispiel ist die Elbphilharmonie.
Verantwortliche Hamburger Politiker haben in erster Linie die Belange der Menschen unserer Stadt zu sichern und zu verbessern.
Die Chancen der sozial Schwächeren müssen verbessert werden, wenn wir dem Auseinanderfall zwischen Arm und Reich entgegen wirken wollen.
Hamburg zählt zu den reichsten Städten Europas. Das trifft aber nicht für die ganze Bevölkerung zu. Viele Menschen leben in Armut Armut mindert die Chancen der Jugendlichen und der Kinder. Armut führt zu geringerer Bildung und zu begrenzter berüflicher Zukunft. Armut mindert die Teilnahme am kulturellen leben und mindert die Möglichkeit sportlicher Betätigung.
Es müssen dringend wieder Sozialwohnungen gebaut werden, verbleibend im Besitz der Stadt. Die sozial schwächeren Menschen dürfen nicht verdrängt werden, weil sie nicht die marktüblichen Mieten zahlen können. Das bedeutet auch: Städtische Grundstücke und Immobilien müssen Eigentum der Stadt und damit Eigentum der Bürger bleiben. Sie dürfen nicht an Grossunternehmen veräussert werden, um kurzfristig den Staatshaushalt zu verbessern.
Der Senat und das Parlament sollten Arbeitsplätze sichern helfen, vor allem bei Klein- und Mittelbetrieben, da eine Konzentration auf Grossunternehmen wachsende Abhängigkeit schafft.
Hamburg gilt als Tor zur Welt. Wir verbinden damit nicht nur die Vorstellung internationaler Handelsbeziehungen, sondern auch eine kulturelle Brücke zu anderen Ländern. Hamburg sollte daher auch offen bleiben für alle Menschen unserer Stadt die aus anderen Ländern zu uns kamen.
Wir wünschen uns ein friedliches und verantwortungsvolles Hamburg. Das fordert Änderungen.
Hamburg sollte sich verabschieden vom Bau von Kriegsschiffen, zugunsten zivilen Schiffsbaues. Der Hamburger Hafen muss verhindern, dass weiterhin die Umwelt und die Menschen schädigender Elektronikschrott in die sogenannte 3. Welt exportiert wird, um ihn dort billig loszuwerden. Man trägt hier Verantwortung für die Erkrankung und den Tod der Menschen in den Empfängerländern, die den giftigen Schrott ohne Schutz verwenden wollen.
Hamburg sollte als Friedensstadt international Ausgleich und Gerechtigkeit fördern und Waffenexport verhindern.
Die Unterzeichnenden dieses Manifestes kommen aus vielen unterschiedlichen Lebens- Und Verantwortungsbereichen: Vom Fachschaftsbereich der Hamburger Universität, vom AusländerInnenrat des AStA, aus der Arbeitswelt, den Gewerkschaften ver.di und GEW, dem Bereich Erziehungswissenschaften, von Elternvereinen, Stadtteilinitiativen, aus der SchülerInnenkammer, aus dem Hafenbereich, Mitwirkende gegen den Abbau Hamburger Museen, aus Bereichen Kunst, Musik und Theater, vom Deutschen Schauspielhaus, vom Koordinierungsrat der IranerInnen und der Deutschen Friedensgesellschaft-Internationale der Kriegsdienstgegner e.V..
Die Unterzeichnenden fanden sich zusammen im Bemühen, einen Beitrag zu leisten, für eine erfolgreiche, soziale, tolerante und kulturelle weltoffene Stadt, in der die Bürger mitwirken und ihr Recht auf Mitbestimmung wahrnehmen können.
Ich hoffe, dies möge Sie alle zum Mitdenken und Mitbestimmen anregen.
Günther Kahl, Deutsche Friedensgesellschaft – Internationale der Kriegsdienstgegner e.V., Jungfrauenthal 37, 20149 Hamburg